TRANS/MASC

 

Prolog

 

Die Ausgangsbasis dieser Gemäldeserie ist der Versuch, mithilfe des Science-Fiction Genres ein transhumanistisches Männlichkeitsbild zu entwerfen. Dabei handelt es sich um Portraits von mir nahestehenden Menschen der schwul/queeren Subkultur. Wir werden häufig zu unserer eigenen imaginierten Utopie. Fiktive Welten, in der Kunst erschaffen, gingen des Öfteren der Technik und der Wissenschaft voraus, bevor diese sie in die Praxis umsetzen konnten.

 

Wir brauchen neue Geschichten

 

Wir brauchen neue Geschichten, stellte Donna Haraway in ihrem Essay "A Cyborg Manifesto " von 1985 fest. Die Männlichkeitsbilder in meinen Darstellungen sollen Zeichen im Wandel einer neuen Zeit sein. Prägende Impulse kamen oft aus einer Gegenkultur, in deren Spannungsfeld sie sich zuerst etablierten und sich danach zu einem prägenden Teil des Mainstreams entfalteten. So wurden Bezeichnungen und Praktiken für Fetisch, Körpererweiterungen, Dildos, Trans-Signs, Hybridisierungen des physischen Ichs, Tatoos, Drag und andere Manierismen erst in der queer/schwulen Subkultur entwickelt, bevor sie Eingang in die Alltagskultur fanden.

 

Es sind oft die heteronormativen Konstrukte und Raster, die in jener Subkultur nicht zu funktionieren scheinen und dekonstruiert oder verstärkt werden: Parameter, die bestimmen, ob ein Repräsentanzhalter seinen Platz in einem System sowie unserer Gesellschaft überhaupt behaupten kann bzw. dieser entspricht. Als Beispiel: ein extrem ausgebildetes und übertriebenes Männlichkeitsgehabe in der Gay Szene, welches bis hin zur extremen Körperoptimierungen und Körperkult reicht. Schubladendenken und binäre Codes wirken auch hier als schnell lesbar. In diesem Setting ist das Bedürfnis nach Selbstbestimmung über den eigenen Körper sowie das Streben nach Zugehörigkeit und einen Platz in unserem System zu haben, sehr präsent.

 

Es ist zwischen den Bedürfnissen des biologischen Wesens und von den von der Gesellschaft eingeforderten Normen zu differenzieren. Ganz im Sinne von Foucaults Gedanken zu Biomacht, Disziplin und Überwachungsstaat. Ausgehend von der Frage, ob man das Männlichkeitsbild einer ganzen Epoche prägen kann, indem man wie in einer Science Fiction Geschichte Körper modifiziert, erweitert, optimiert, einfriert, Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine zeugt, erschaffe ich Cyborg-artige Wesen, beinahe wie es in Mary Shelleys Roman "Frankenstein" geschieht und halte jene in meinen Gemälden fest.

 

Eine Zeitkapsel

 

In meiner Arbeit fungiert das Gemälde selbst als Zeitkapsel, in der von mir neu interpretierte Männlichkeitsbilder, wie etwa in der Kryonik, scheinbar eingefroren werden, um sie zu einem späteren Zeitpunkt aufzutauen, zu sezieren, wieder zum Leben zu erwecken und neuem diskursiven Leben zu verhelfen. Der Cyborg als missing link zwischen Mensch und Maschine. Prothesen, Erweiterungen und Optimierungen lassen den Entwurf einer durch eine populär-darwinistische Lesart des Männlichkeitsbildes von Stärke und Makellosigkeit in Frage stellen. Sie stellen eine Übersteigerung der Evolution dar, bergen aber auch das Paradoxon des Endes der biologischen Evolution. Ich verändere gesellschaftliche Merkmale, welche im Kontext unseres patriarchalen Systems dem jeweiligen Gender zugeordnet sind (durch Sozialisierung bzw. Politisierung) neu, und schaffe dadurch eine neue Codierung. Es wird auf Diversität durch die Erweiterungen eingegangen. Modifizierungen oder Optimierung generell finden auf intersektionellen Ebenen statt. Dieses Spielfeld eröffnet neue Deutungslandschaften. Das performative Konstrukt Männlichkeit im klassischen Sinne kann diesen Vorstellungen hier nur mehr schwer standhalten und wird somit illegitim.

 

Das Transportmittel der Normen

 

In der Kunst wurden seit jeher Männlichkeitsbilder transportiert. In meinen Gemälden schaffe ich einen neuen Ansatz, um festgefahrene Konstrukte aufzulockern, um Gender-Codes untersuchen zu können, sie neu gestalten und formulieren zu können. Die polymorphenGestalten in meinen Arbeiten helfen hier als Blaupausen einer möglichen Zukunft. Die technoiden Erweiterungen selbst sind von den jeweiligen Personen inspiriert, welche auf den Gemälden portraitiert sind und spiegeln auf abstrakt-performative Art und Weise die Themen, Problematiken, Sehnsüchte, Ideologien sowie Identitätspolitiken der Subkultur wieder. Um Erweiterungen und Veränderungen durch transhumanistische Ansätze und Techniken zulassen zu können, braucht man die Bereitschaft Möglichkeiten zuerst im Kopf zuzulassen. Genau so braucht man den Willen für die Möglichkeit neuer Männlichkeitsbilder.

 

Oft wird der ethische Gedanke im Transhumanismus in Frage gestellt und strapaziert -- hier muss eine neue, kritische Denkweise etabliert werden. Wir kämpfen mit dem Problem, dass Religion, tradierte Moralvorstellungen und Glaubensdogmen oftmals alles ablehnen, was sich aktiv mit der Veränderung des menschlichen Körpers (von Gentechnik bis Kybernetik) beschäftigt. Diese Tendenzen werden oftmals sofort als das "Böse" bezeichnet. Wie schon in vielen Darstellungen, vor allem christlichen, sind Mischwesen als diabolisch dargestellt (z.B. Hybrid Wesen, Satans Darstellungen; Pferdefuß, Hörner). Das Bild " Sturz der gefallenen Engel " (1562) von Pieter Bruegel dem Älteren zeigt den Kampf zwischen Engeln und grotesken Hybridwesen, wie sie einem Science-Fiction-Film entstammen könnten. Ebenso werden in Hieronymus Bosch "Der Garten der Lüste" (1500) Mischwesen als die Ausgeburt des Negativen gezeigt.

 

Utopie und Transhumanismus

 

Im Transhumanismus gibt es viele utopische Ansätze. Eine utopische Welt in der jedes menschliche Wesen selbstbestimmt über seine "Erweiterungen" und seinen Körper bestimmen kann, ist auf jeden Fall zu ersehen, die Frage stellt sich allerdings auch wer die treibende Kraft hinter der derzeitigen Entwicklung ist und wer davon profitiert. Sehr naheliegend ist eher eine kapitalistische und industrielle Steuerung durch Wettbewerbs- bzw. Konkurrenzdenken, denn wenn neue Technologien entwickelt werden, dann ist die zentrale Frage wer dahinter steckt und was jene zum Ziel haben. Die utopische Vorstellung kann schnell zur Dystopie werden, wie auch schon in so manchen Science Fiction Filme wie z.B. Ghost in the Shell, Blade Runner, The Matrix dargestellt wird. Was bleibt bzw. was ist denn eigentlich der Kern des Menschlichen, wenn alles ersetzt werden kann? Kann man einen "Geist" in einen mechanischen Körper hochladen? Ist der "Geist" vom Gehirn trennbar? Kann das Gehirn technisch reproduziert werden? Kann man einen mechanischen Körper steuern und vor allem von wem wird er gesteuert? Foucaults Begriff der Biomacht würde sich hier als Denkschablone anbieten. Es gibt eine starke gesellschaftliche Sehnsucht nach Science-Fiction-Utopien, was der Erfolg für Klassiker wie Avatar oder Star Trek z.B. aufzeigen. Der Mensch lebt im Einklang mit seinen Technologien. Ob ein utopisches oder dystopisches Setting vorliegt, geht allerdings nicht klar aus meinen Gemälden hervor - es soll offen gelassen werden.

 

Wer bevölkert meine Welt?

 

Die Personen in meinen Gemälden stammen allesamt aus meinem engsten intimen Umfeld. Sie sind ein Teil von jenen Menschen, die für mich diese queere/schwule Subkultur ausmachen. Meine langjährige Beobachtung fließt in meine Serie ein. Ich kenne diese spezielle Subkultur gut und sehe sie als Quelle interessanter Reflexionen. Sie wird oft abgelehnt und sogar gehasst, aber sie ist für mich ein safe space und erste Zufluchtsstätte im Kampf um sexuelle Befreiungen und sexuelle Orientierung. Die Menschen haben hier oft außer ihrer sexuellen Orientierung nicht viel gemeinsam.

 

Es sind Menschen, die hier fernab von gesellschaftlicher Schicht, sozialem Umfeld, Alter, Religion, Hautfarbe, Nationalität usw. miteinander in Kontakt treten. Es ist eine internationale Szene, welche über Grenzen hinaus wirkt. Die Einzelschicksale der Menschen in dieser Subkultur machen diesen Platz oft zu einem Schmelztiegel. Mit Exzessen, Drogen, Absturz, Suizid, körperlicher Gewalt, psychischer Gewalt, Prostitution, Kriminalität wird man hier oft nach wie vor konfrontiert und dies ist auch das, womit du dich als schwuler junger Mann früh, vor allem im urbanen Umfeld, auseinandersetzen musst. Wie auch in dystopischen Science Fiction Romanen wie z.B. die Neuromancer-Trilogie von William Gibson aus den 1980erJahren. Gibson prägte damals z.B. das Cyberpunk-Motto "High Tech, Low Life", etwas das sich wunderbar auf meine Arbeiten übertragen läßt. Aktuell beobachtet man in der Szene Menschen mit Migrationshintergrund bzw. (Queer) Refugees stark vertreten, welche diese Freiräume für sich beanspruchen, da sie jene scheinbar brauchen. Hakim Beys Begriff der TAZ (der Temporär Autonomen Zone) wäre hier auch ein interessantes Analysemuster für die intersektionalen Prozesse, Allianzen und Lebensweisen in der Szene. Es sind jene intersektionale Menschen dieser Subkultur, die ausschlaggebend für meine Arbeit sind. Hier wird sich in Szene gesetzt oft übertrieben geacted, inszeniert, performt, wie bei Drag und Camp.

 

Die Inszenierung von Subkultur

 

Wenn man den Begriff Drag durchleuchtet, kann man ihn schwer abkoppeln vom Politischen und schwer abkoppeln von den Anfängen der Punk-Subkultur sowie der queeren Subkultur, welche stark von übertriebenen Darstellungen wie Satire bis hin zu Trans und Drag geprägt war. Provokation durch nicht genderkonforme Auftritte bzw. Performances waren fester Bestandteil jener. So wie sich diese Subkultur inszeniert, sehe ich auch meine Malerei als inszeniert. Ich bediene mich zum Teil überzeichneter Ausdrucksformen wie es bei Camp oft der Fall ist. Inszenierungen wie in der Fotografie von Robert Maphlethorpe haben sicher auf mich gewirkt. Allerdings reicht mir eine physische Körpergrenze nicht um meine Vorstellung zu zeigen. Ich will eine Körpergrenzenüberwindung wie sie schon Francis Bacon angestrebt hatte. So wirken Teile der künstlichen Erweiterungen beinahe wie eine Performance von Stelarc. Der Cyborg als Hilfsmittel sowie Transhumanismus als Hilfsmittel, um Männlichkeitsbilder zu hinterfragen und zu verändern. Der Raum in meinen Gemälden ist als ein Raum in ständiger Veränderung und Kommunikation mit den Protagonisten zu verstehen. Abgekoppelt von Zeit, soll er nicht die Gegenwart widerspiegeln sondern viel mehr ein zeitloses Umfeld suggerieren, manchmal auflösend bis hin zu abstrakter Darstellung und Verschmelzung mit Körperteilen. Eine Art Gerinnen der Zeit, der Körper und der inhaltlichen Ebenen. Die Körper selbst können also Projektionsfläche sein und sich ebenso raumgreifend erweitern wie sich der Raum selbst auch erweitern kann.

 

von Offerus Ablinger