Obszönitätsvisionen einer Zukunft

Von futuristischen Körperformen und queeren Erotizismen

 

Wer eintaucht in den technisch-queeren Gegenweltsentwurf von Offerus Ablinger, dem werden nicht nur erotische Schauwerte geboten, sondern es zeigen sich überdies noch technoid-verstrickte Menschmaschinen, fast schon Posterboys einer noch nicht erreichten Utopie. Als Veranstalterin des Porn Film Festivals Vienna beschäftige ich mich mit der ganzen Bandbreite erotischer Darstellungen und den Definitionsgrenzen der Begriffe Pornografie und Erotik. Was für mich an Ablingers mehrteiligen Zyklus besonders interessant ist, ist seine Auseinandersetzung mit einer neuen Form des Körpers.

 

Die Schnittstelle zwischen Erotik und Kunst war schon immer ein sehr fruchtbares Terrain für künstlerische Werke. Beispielhaft dafür sind die Körperperformances von Annie Sprinkle, die in den 1970er-Jahren Pornodarstellerin war, Aktionskünstlerin wurde und die "Post-Porn"-Kultur einleitete. Aktionistischer Gegenentwurf als politisch treibende Kraft. Den realen Körper zeigend, vor Publikum mit breit gespreizten Beinen und Spekulum sitzend, die bürgerliche Welt konfrontierend und entblössend -- das war nicht nur für den Feminismus extrem wichtig. Aber im Jahre 2019 stellt sich die Frage, ob die frontalen Körperpräsentationen und mainstreamigen Erotikwerte des Internets, diese also nahezu klassische Obszönität der Pornografie, nicht eines Updates bedarf: eine Obszönität der Zukunft. Vorerst muss festgehalten werden, dass sich laut Definition, jede Handlung oder sprachliche Äußerung als obszön auffassen lässt, die massiv gegen jeweilig geltende Normen verstößt. Ein perfektes Framing für Ablingers Bilderzyklus. Denn dieser triggert viele Fragen: Wer sind diese Männer und sind sie überhaupt “männlich”? Aus welchem Jahrtausend sind sie und wo und wie leben sie? Wovon leben sie? Essen sie? Trinken sie? Ficken sie? Oder ist Nahrung und Sex in ihrer transhumanistischen Welt schon Vergangenheit? Das macht die Betrachtung der Werke sehr spannend. Bild für Bild, Körper für Körper, Erweiterung für Erweiterung setzen sich vor unseren Augen neue Weltensplitter zusammen, einzig erahnbar über die Darstellung der Körper dieser Menschen. Die experimentelle Bildsprache sowie die subkulturelle Aneignung erotischer schwuler Codes eröffnen spannende Deutungsräume. Wenn wir an Werke wie Hans Bellmers Puppen und die literarischen Ergüße des Marquis de Sade denken, dann haben wohl beide den Tabubruch ihrer Zeit gemein. Die Bewohner von Ablingers Zyklus, und damit Ablingers Welt, haben keinen Zeitwert, keine Zeitgrenzen. Aber in Zeiten des Chemsex, wo sich Drogenkonsum und Ficken als ebene übereinanderlegt, ist alles denkbar. Die abgebildeten Figuren zeigen sich in halbnackter Weise, manchmal ganz entkleidet, manchmal massiv verhüllt. Oft bleibt es im Unklaren, ob wir hier als Betrachter*innen überhaupt Kleidung zu sehen bekommen. Ist es Haut? Oder gar künstliche Haut? Wäre diese noch reizbar und erotisierbar? Wie funktionieren ihre Körper generell? Sind es überhaupt Körper oder vielmehr eher Projektionen, Hologrammen gleich?

 

Männliche (und das mit Fragezeichen) Cyborgs, vielleicht sogar Sexbots mit Körpererweiterungen und Verhüllungen, bilden bei Ablinger eine Zukunft ab, derer wir in der Gegenwart noch nicht mächtig zu sein scheinen. Körper öffnen sich, bluten, Haut zerrt sich und transferiert sich, körperlich-brutale, aber auch sinnliche Blicke. Ob es eine Utopie oder eine Dystopie ist, in der diese Weltenbewohner leben, das wissen wir nicht. Dieser Erkenntnis bleibt der Blick wohl verwehrt. Auch wie viel Prozent Mensch sich denn uns noch präsentiert, wo fängt Maschine an und hört Mensch auf?

 

Gegenwärtige Blicke treffen auf queere ästhetische Empfindsamkeiten. Sie treffen oder entziehen sich und transportieren trotzdem vielfache erotische Spannung. Offerus Ablingers Werke durchziehen den Sehnsuchtsraum des Körpers, unterstrichen durch futurologische Ansätze. Männlich*keiten werden hier vielfältig wiedergegeben. Männliche* Körperwelten treffen auf feminine* Gesten, präsentieren biomechanoide Erweiterungen, versprechen die Veränderung der Welt, vielleicht sogar das Abstreifen des Körperlichen an sich.

 

Sind Ablingers Modelle auf dem Weg in eine bessere Welt? Niemand weiß es. Oder um es mit Shakespeares Worten zu sagen: “Wir wissen wohl, was wir sind, aber nicht, was wir werden können.”

 

von Jasmin Hagendorfer