Historische Perspektiven

 

Nackte Haut, Genitalien, geschminkte Gesichter, Schmuck, Socks...die Männer des Offerus Ablinger präsentieren uns augenscheinlich mit einer Bandbreite schwuler Klischées, die durch die beigegebenen Objekte sexuell aufgeladen wirken und heteronormative Vorstellungen von Männlichkeit in Frage stellen. Doch sind diese Bilder in ihrem Konzept von Rollenverteilung wirklich so neuartig? Und was verraten sie uns über den/die Typ/en Mann/Männer, die sich so ostentativ dem Auge des Betrachters darbieten?

 

Visuelle Darstellungen von Männern mit erotischer Konnotation, sinnlichen Gefallen und dem Spiel klassischer Geschlechterrollen sind kein Produkt unserer modernen Zeit. Ein Porträtmodus katapultiert uns in die Glanzzeit der Lagunenstadt Venedig, zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in dem junge Männer der aristokratischen Oberschicht luxuriös in exquisiten Stoffen, Pelzen und Schmuck gekleidet und mit einem melancholisch-kontemplativen Blick ins Unbekannte auftreten. Vom bisherigen Männerbildnis als visuelles Dokument patriarchal-herrschaftlicher Ansprüche unterscheiden sie sich durch ihre Verletzlichkeit, subtile Sinnlichkeit, Verschlossenheit, aber auch Zurschaustellung materiellen Besitzes in Form kostbarer Kleidung und sind in manchen dieser Punkte den subversiven Porträts Ablingers nicht so unähnlich. Man denke bei letzterem Aspekt an die Bedeutung materieller Objekte als identitätsstiftende Attribute. So ist die Queerness von Ablingers Modellen teilweise an Gegenständen wie Handfesseln und Sportsocken zu erkennen und hebt diese somit von heterosexuellen Männern ab. Von Marianne Koos (Universität Fribourg) als lyrisches Männerporträt bezeichnet, wecken die venezianischen Bildnisse das Verlangen des Betrachters, wie z.B. Palma il Vecchios Porträt eines Dichters von 1516 (National Gallery, London). In ausladendem Pelzmantel und Satinärmeln streckt uns der Jüngling seinen mit mehreren feinen Goldkettchen geschmückten Hals entgegen, ähnlich wie Ablingers Porträt mit der Silberkette. Im Gegensatz zu diesem entzieht sich der Venezianer jedoch unserem direkten Blick, wie auch andere Beispiele dieser Gattung (Tizian, Porträt eines Mannes mit roter Kappe, ca. 1511, Frick Collection, NY oder Giorgione, Porträt eines jungen Mannes, ca. 1508-10, Budapest, Szépmüvészeti Múzeum), die es bevorzugen in die Ferne oder ihr eigenes Inneres zu sehen. Ablingers Männer hingegen decken mit konfrontativen Blicken wie dem Mann mit dem Federschmuck, einem hinter einer Metallmaske versteckten Gesicht oder einem Blick ins Leere, Unbekannte wie das in roten Adern umschlossene Porträt die ganze Bandbreite von Betrachterinvolvierung ab. Stellen Ablingers Männer selbstbewusst, aber durch die direkten bzw. gedankenverlorenen Blicke nicht sexualisiert (lediglich das Modell mit dem Fächer scheint keck mit der Augenbraue hochgezogen mit uns zu spielen) ihre Nacktheit zur Schau, so lässt Palma durch den subtilen Griff des Herunterrutschen des Pelzes über die rechte Schulter einen Hauch von Erotik entstehen. Dass Nacktheit für den Mann außerhalb eines mythologisch-religiösen Kontextes dennoch vor 500 Jahren repräsentativ war, bezeugt Bernardino Luinis Bildnis eines Mannes mit Pfeilen im Körper (ca. 1525, St. Petersburg, Eremitage), der sowohl auf sich selbst als auch eine Tafel verweist, die von den Qualen der Liebe spricht. Vergleichbar Ablingers Porträt mit den Handfesseln stellt Luinis Liebesgefangener seinen nackten Körper natürlich und ohne Scham zur Schau (wenn auch freilich der Genitalbereich durch ein Tuch bedeckt ist), und vergleichbar den anderen Männerbildnissen Ablingers kommt durch Luinis Figur und neutralen Blick kein Moment von Erotik auf, die Liebesthematik bleibt auf die Tafel und ihre Inschrift reduziert und wäre ohne diese schwer denkbar. Es sind also wie bei Ablinger Gegenstände, die Fragen nach Sexualität bzw. Erotik aufkommen lassen, während die Modelle selbst eine gewisse Form an in sich gekehrte Nobilitierung erfahren. Für die Aktualität der Kontroverse dieser Männerbildnisse spricht, dass die Eremitage als Besitzer das Gemälde von Luini nicht als Liebesmetapher auszeichnet, sondern auf ihrer Website schlicht als Heiligen Sebastian betitelt, und damit den tatsächlichen Inhalt, der durch die Tafel offensichtlich gegeben ist, blind übergeht, um jede Form an (Homo?) Erotik in Putinrussland bloß nicht entstehen zu lassen. Es ist schwer auszumachen, inwiefern diese Männerbildnisse wirklich homoerotischen Gehalt haben und es sei Vorsicht geboten, unseren zeitgenössischen Wertekanon und Vorstellungen von Sexualität auf eine vergangene Epoche eins zu eins zu übertragen. Dennoch gibt es Schriftstücke aus dieser Zeit, die eine klare Kritik am lyrischen Männerporträt bzw. Lebensweise der Porträtierten äußern und von moralischen Zerfall sprechen. In den Augen dieser Autoren sind die an weltlichen Gütern und Mode orientierten jungen Aristokraten nichts mehr als Frauen, für diese Zeit Schimpf und Schande für das männliche Geschlecht. Und damit sind wir wieder an der Ausgangsbasis angelangt: dem jahrtausendealten Kampf um Geschlechteridentität, Patriarchat und Heteronormativität, der in dem Zyklus von Offerus Ablinger eine weitere kritische Hinterfragung findet.

 

von Kero Fichter