Offerus Ablinger 

Malerei, Installation, Performance und bewegtes Bild

 

Die Lebensrealitäten und Geschichten des queeren Künstlers Offerus Ablinger, geprägt durch Herkunft und Identität, fließen in seine Arbeiten ein und schaffen eine neue Ästhetik. Es sind Themen wie Klassismus, Körpernormen, Körpergrenzen, Gender und gesellschaftliche Kodierungen dieser, mit denen sich Offerus in seinen Arbeiten auseinandersetzt. (…) Die in der Aufrechterhaltung toxischer Systeme verborgenen Strukturen und Kodierungen finden sich verborgen im Alltag, in unserer Kultur wieder. Unbeachtet, reproduziert und weitergegeben bilden sie den Grundstein unserer Gesellschaft.

 

In meiner künstlerischen Analyse greife ich sozialpolitische Themen auf, die für mich relevant für ein Zusammenleben in unserer Gesellschaft sind und welche strukturelle Mechanismen aufzeigen. In dieser prozessorientierten Vorgehensweise kreiere ich neue Entwürfe, wie z.B. zum Thema Gender (Männlichkeit) und Klassendenken sowie deren Auswirkungen. Gleichzeitig versuche ich die Frage von queerer Identität zu untersuchen sowie Ausgrenzung durch Klassismus bewusst zu machen. Meine „Cyborgs“ sind Blaupausen einer Möglichkeit der Zukunft und sollen Denkanstöße liefern. Wir brauchen neue Geschichten, wir brauchen die Kraft Neues zu imaginieren, wir brauchen die Fiktion und vor allem brauchen wir auch Themenfelder, auf denen Neues ausverhandelt, im respektvollen Umgang ausgelotet und diskutiert werden kann.

 

Mein künstlerisches Schaffen umfasst die Medien Malerei, Installation, bewegtes Bild und Performance. Ich verfolge das Ziel, formell Altes aufzubrechen und neu zusammenzustellen. So beeinflussen sich alle Medien, die ich bediene, gegenseitig und es kommt zu neuen und in die Breite angelegten Ausdrucksstärken. 

 

Das Gemälde als Zeitkapsel: hinterfragen, kreieren, definieren

 

Die Personen in meinen Gemälden stammen allesamt aus meinem engsten, intimen Umfeld. Sie sind ein Teil von jenen Menschen, die für mich die queere Subkultur ausmachen. Meine langjährige Beobachtung fließt in meine Arbeiten ein.

In meinen Gemälden gehe ich von einer alten Technik - der Malerei - aus und breche bzw. erweitere diese mit grafischen Elementen. Zudem arbeite ich auch mit dem Begriff des “Infinito”, um eine Überhöhung der Ausdrucksstärke zu erlangen. Der Kontrast zwischen der traditionell aufgeladenen Ölmalerei und dem Infinito versetzt die Gemälde in ein Spannungsfeld. Ähnlich wie bei Camp wirken die Protagonist:innen zum Teil überinszeniert. Die Tradition der Malerei wird aufgebrochen, indem alte Techniken bedient werden (z.B. Ölmalerei in Schichten gearbeitet). Dem folgend wird das klassische Gemälde in die Gegenwart transkribiert, indem grafische Elemente, Übermalungen und bewusst gewählte Aussparungen hinzugefügt oder weggenommen werden. Das alte schwere Ölgemälde wird aufgebrochen, aufgelöst – sowohl thematisch als auch optisch. Das kann als Cyborgisierung gelesen werden, um zu hinterfragen, neu zu kreieren und neu zu definieren. In dieser Hinsicht funktioniert das Gemälde wie eine Zeitkapsel: Von der Vergangenheit aus (Technik, Methode, Gemälde) entwickelt es sich in die Gegenwart (Motiv) und Zukunft (Cyborgisierung).  

 

Der Raum in meinen Gemälden ist als ein Raum in ständiger Veränderung und Kommunikation mit den Protagonist:innen zu verstehen. Abgekoppelt von der Zeit, soll er nicht die Gegenwart widerspiegeln, sondern viel mehr ein zeitloses Umfeld suggerieren - manchmal auflösend bis hin zur abstrakten Darstellung und Verschmelzung mit Körperteilen. Eine Art Gerinnen der Zeit, der Körper und der inhaltlichen Ebenen. Die Körper selbst können Projektionsfläche sein und sich ebenso raumgreifend erweitern, wie sich der Raum selbst auch erweitern kann.

 

Oft gehe ich mit Installationen und der Inszenierung - Stageing - meiner Gemälde in den physischen Raum hinein, beziehe jenen mit ein und erzeuge dadurch eine Gesamtwahrnehmung, die die Sinne stärker fordert. Wenn ich ein Setting schaffe, ist es für mich immer auch relevant den/die Betrachter:in in jenes Setting zu versetzen bzw. miteinzubeziehen, damit jener:jene sich auf gleicher „Augenhöhe“ mit der Arbeit befindet. Der Ort der Inszenierung selbst ist nicht unwichtig, da die Räume, in denen wir uns bewegen, mit Inhalten und gesellschaftlich implizierten Kodierungen aufgeladen sind. So können jene verstärkt, gebrochen oder neu modelliert werden. Körperliche und räumliche Grenzen verlagern sich und werden zum Teil aufgelöst sowie ausgedehnt. 

 

In meinem interdisziplinären Schaffen sind es die Menschen in unseren miteinander verwobenen Strukturen und Systemen, die mich interessieren, deren theoretische Behandlung und vor allem auch Lebensrealitäten, die u.a. durchaus auch im Widerspruch zu einander stehen können. Viele Zusammenhänge werden für mich oft in Subkulturen besonders bzw. schneller sichtbar, da vieles im Kleinen auch schneller passiert. Meistens, wenn man z.B. von Trends in der Gegenkultur spricht, erreichen jene auch früher oder später den Mainstream. Die Gegenkultur sehe ich dabei als impulsgebend für relevante Bewegungen und vielleicht sogar als das Herzstück des Mainstreams. Dieses Forschungsfeld ist für mich bei Weitem noch nicht ausgeschöpft.

 

Das Streben und Bedürfnis sich aus gesellschaftlichen Opferrollen oder Handlungsunfähigkeit zu erheben, indem Sichtbarkeit geschaffen und selbstbestimmt Diskussionsfelder etabliert werden, ist meiner Meinung nach eine Notwenigkeit und Katalysator in der Umsetzung gesellschaftlicher und sozialpolitischer Themen. Dies sollte nicht nur im elitären, akademisch-theoretischen Umfeld stattfinden, sondern auch Lebensrealitäten fernab von diesen miteinbeziehen. Nicht immer sind die Machtwerkzeuge der Unterdrückung auf den ersten Blick erkennbar. Es erfordert eine Analyse und Reflexion, die sich im Lebensalltag mancher gesellschaftlichen Schichten oft als beinahe unmöglich darstellt, da es mitunter einen freien (leichten) Zugang zu Wissen bräuchte. Sich im Widerstand zu formatieren oder durch Selbstermächtigung zu erheben, erfordert zuerst das Erkennen der Werkzeuge der Zurechtweisung oder Zuweisung gesellschaftlich implizierter Positionen und vor allem auch die Zeit und eine Notwendigkeit sich damit befassen zu können. Das Bewusstmachen und Erkennen, wo Kodierungen gesellschaftlich eingeschrieben sind, reproduziert werden und aufgespürt werden müssen, um eine Veränderung von Missständen bzw. Verhältnissen zu bewirken und den Weg der Selbstermächtigung einzuschlagen, ist in diesem Zusammenhang unumgänglich. Sicher braucht dies auch ein Maß an Stärke, Einsicht und Mut, um seine Komfortzonen der sicheren Normativität zu überwinden, sich jener entgegen zu stellen und gesellschaftlich etwas zu bewirken. 

 

Es braucht Stolpersteine, um auf Etwas aufmerksam zu machen

 

Ich möchte Menschen dazu anregen, über die Inhalte meiner Blaupausen zu reflektieren und sich vielleicht damit zu identifizieren, um für die Zukunft neue Modelle für sich zu entwerfen, die über Schubladen hinausgehen. Es braucht Stolpersteine auf dem Weg, um auf Etwas aufmerksam zu machen.

 

Meine Kunst ist politisch und interagiert mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern und gesellschaftspolitisch relevanten Themen. Meine Überzeugung ist es, dass politische Kunst auch einen aktivistischen Teil beinhaltet, welcher aktiv in gesellschaftliche Geschehnisse eingreifen und jene mitformt sowie Impulse für Neues setzen, aufzeigen und hinterfragen kann.

 

Ein weiterer Antrieb für mich, Kunst zu schaffen, ist die Bedeutung von Freiheit, die sich daraus neu formt und manifestiert, sowie ein sich herausbegeben Können – daraus, was gesellschaftliche Normen mit sich bringen. In meinem persönlichen Fall war es auch die Möglichkeit eines gesellschaftlichen Aufstieges. In meiner Biografie geht es um einen Moment der Selbstermächtigung und um den Weg von der „Working Class“ in ein akademisch geprägtes Umfeld. Mein Background ist mitunter ausschlaggebend für meine Kunstanschauung - geprägt von der Ambivalenz zweier Welten (Kleinstadtplatte trifft elitäre Akademie).

 

Über die aktuelle Arbeit „Trans/Masc“

 

Der Inhalt meiner aktuellen Arbeit “Trans/Masc” handelt von Männlichkeitsbilder der queeren Subkultur und deren Streuwirkung auf den Mainstream.

 

Meine langjährige, vertiefte Praxis in diesem weiten Themenfeld hat eine eigenständige Form gefunden, die in meinen installativen Projekten zum Ausdruck kommt. Die Beobachtung von Gegensätzen und auch Missständen bzw. die Kehrseite von schwul/queerer Subkultur, welche auch das Clubleben beinhaltet, war immer wieder das, worum sich meine Gedanken drehten, eine Faszination auf mich ausübte und Gegenstand meiner Untersuchung wurde. 

 

Die Einzelschicksale in dieser Subkultur machen diesen Platz oft zu einem Schmelztiegel. Als junger schwuler Mann musst du dich, vor allem im urbanen Umfeld, schon früh mit Exzessen, Drogen, Absturz, Suizid, körperliche und psychische Gewalt, Prostitution, Kriminalität auseinandersetzen. Es sind jene intersektionale Menschen dieser Subkultur, die ausschlaggebend für meine Arbeit sind. Hier wird sich in Szene gesetzt, oft übertrieben geacted, inszeniert, performt, wie bei Drag und Camp.

 

Für meine künstlerische Analyse verwende ich eine Art transhumanistische Science-Fiction-Schablone. Das Medium „Malerei“ wurde von mir bewusst gewählt, da es in meiner Arbeit als eine Art Zeitkapsel fungieren soll. Männlichkeitsbilder wurden in der Vergangenheit immer schon über Gemälde bzw. Ölgemälde transportiert. Mir geht es nun darum, das klassische Ölgemälde zu brechen und im Zuge dessen neue Kodierungen von Männlichkeit zu entwerfen. Ein Gemälde sollte auch ein Spielfeld von Interpretationen zulassen und somit auch eine Art Identifikation bzw. das Reflektieren des/der Betrachter:in beinhalten.

 

Wir sind oft zu unserer eigenen Science-Fiction geworden

 

Transhumanismus ist ein aktuelles Thema und wir befinden uns mitten in dieser Entwicklung. Wo fängt in Zeiten von Digitalisierung eine Körpererweiterung bzw. -optimierung an? Smartphone? Augen-OPs? Brillen ...  Wir brauchen neue Geschichten, stellte Donna Haraway in ihrem Essay "A Cyborg Manifesto " von 1985 fest. Die Männlichkeitsbilder in meinen Darstellungen sollen Zeichen im Wandel einer neuen Zeit sein.