Sick Burns

Körper, Arbeit und männliche Cyborgs

 

Die NASA-Forscher Manfred Clynes und Nathan S. Kline führen den Begriff „Cyborg“ erstmals in den frühen 1960er Jahren in den wissenschaftlichen Jargon ein. Sie schlagen die technische Anpassung des Menschen an die Umweltbedingungen des Weltraums vor – als nächsten evolutionären Schritt. Die grundsätzliche Idee, technologische bzw. künstlich hergestellte Bestandteile in organische Systeme einzufügen oder sie mit ihnen zu koppeln, ist aber wesentlich älter.

 

Die Fragen nach der Zukunft von schwulen, subkulturellen Männlichkeitsbildern, die Offerus Ablinger in seinem Cyborg-Gemäldezyklus aufwirft, und die Prognosen transhumanistischer Welten, führen uns deswegen ausweglos in die Vergangenheit.

 

Das traditionelle Männerbild westlicher, patriarchaler Gesellschaften ist über Jahrtausende vom körperlichen Leistungsvermögen bestimmt, also von der Fähigkeit zu jagen, Arbeit zu verrichten um damit seine Familie ernähren und Kriegs- und Frontdienst leisten zu können. Aber mit dem Beginn der Industrialisierung wird dieser Sichtweise, und damit dem tradierten Männlichkeitsbild, ein schwerer kultureller Schock beigebracht. Als Kristallisationspunkt will ich die Formel zur Berechnung der mechanischen Arbeit hervorheben, die heutzutage jedes Schulkind lernt: Arbeit ist das Produkt einer Kraft multipliziert mit dem in Kraftrichtung zurückgelegtem Weg. Diese Formel wirkt unschuldig, aber einer physikalischen Größe den Namen „Arbeit“ zu geben, ist keineswegs selbstverständlich und ist untrennbar mit der Entstehung und Verbreitung der kapitalistischen Doktrin verbunden. 1829 wird physikalische Arbeit erstmals in zwei Bücher publiziert: die „Berechnung der Wirkung von Maschinen“ (de Coriolis) und der „Kurs in industrieller Mechanik“ (Poncelet). Beide Bücher sind dem betriebswirtschaftlichen Kontext zuzuordnen, nicht der klassischen universitären Forschung. Die Autoren definieren, dass Arbeit nicht länger als eine dem Menschen vorbehaltene Tätigkeit, eingebettet in einen lebensweltlichen Kontext, gesehen wird: Tiere und Maschinen üben sie jetzt genauso aus wie Federn und Gewichte, solange sie nur einen Widerstand überwinden. Plötzlich gibt es den Anspruch, ein allgemeingültiges, objektives Maß für die Bezahlung von individuellen Arbeitskräften zu besitzen – und jeder „lebendige Motor“ (also Mensch) zeichnete sich dadurch aus, dass er nur eine begrenzte Arbeitsleistung pro Tag erbringen kann. Auch hier sind es ökonomische Fragen: Was ist die maximale tägliche Arbeitsleistung eines Menschen? Der Mensch wird zum kalkulierbaren Teil der Maschinerie – aber auch Opfer ihrer einschüchternden Mächtigkeit. Kein noch so trainierter Körper hat die Möglichkeit sich gegen eine Dampfwalze, ein Presswerk oder einen rasenden Eisenbahnzugs zu Wehr zu setzen. Der/die Arbeiter*in wird zu einem verletzlichen, auf bis dahin unvorstellbare Weise zerstörbaren Wesen. Das verändert natürlich auch das männliche Selbstbild: im Lauf der Dinge ist man nur mehr winzig. Der neu entstehende Fordismus will den Menschen also einerseits maximal verschleißen, ihn aber andererseits auch durch genaue Instruktionen und Richtlinien schützen und den Körper in biopolitischer Sicht möglichst lange produktiv und fruchtbar halten.

 

Auch die zunehmende Industrialisierung der Kriege im 19. Jahrhundert lässt die Zahl der verstümmelten Männer sprunghaft ansteigen. Vor allem der Amerikanische Bürgerkrieg schafft einen Markt an Prothesen und medizinischen Techniken. Die Verletzungen und Entstellungen auf den Schlachtfeldern und wenig sicheren Arbeitsplätzen in der Industrie rufen auch einen Bedarf an künstlichen Augen und plastischer Chirurgie hervor. Es ist deswegen kein Zufall, dass das 19. Jahrhundert ein neues Literaturgenre hervorbringt: Horror. Es präsentiert nicht selten den Körper zermalmende, verändernde, transgressive (Gewalt)orgien, die sich auch in den neuen Medien Fotografie und Film fortführen. Horror lässt Erscheinungsformen des gebrochenen Körpers als Faszinosum und Spektakel sichtbar werden, die in übrigen Diskursen meist ausgeschlossen oder verworfen werden. Vor diesem Hintergrund können die radikalen Körperdarstellungen in der (Populär-)Kunst als der symptomatische Ausdruck einer Krise des Physischen oder einer kulturellen Verunsicherung über Position und Bestimmung des (männlichen) Körpers gelesen werden, die seit der Industrialisierung nicht gelöst wurde. Die Männlichkeit der Gegenwart ist eine (wortwörtlich) Zerrissene.

 

Nicht die Fitness, Kraft und Potenz eines trainierten, muskelbepackten Mannes bringt mehr gesellschaftlichen Status, sondern die Potenz seiner Technologien und der Umgang damit. Plötzlich wird Männlichkeit über die Geschicklichkeit im Umgang mit Technik und digitalen Tools verhandelt. Dies erschließt aber neue subkulturelle Widerstandsräume: (Cyborg-)Technologie kann die heteronormativen, patriarchalen und herrschaftlichen Codes der symbolischen Ordnung durcheinander bringen und dadurch Emanzipationschancen eröffnen. Das tradierte Männlichkeitsbild ist längst ein Zerrbild der technologisch-kapitalistischen Welt. Diese Verzerrung gilt es bis zum Exzess zu treiben: Teledildonik und Sex Machines, Bio-Hacking und Screw-It-Yourself, Körper mit erweiterten sexuellen Möglichkeiten, erotisch-genetische Utopien, das Aufbrechen von biologischen und kulturellen Codes. Unser Körper ist nicht unser Gefängnis. Es ist das, was aus unseren Körpern gemacht wurde, wie sie für uns definiert wurde, was uns unterwirft. Marx sagt, dass alle Verhältnisse umzuwerfen sind, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Zeit uns zu befreien. Wir müssen uns unseren Wünschen widmen, in voller Radikalität. Offerus Ablinger hat sie auf Leinwand gefangen – und auch wir sollten es wagen von ihnen zu träumen.

 

von Johannes Grenzfurthner

 

 

 

Historische Perspektiven

 

Nackte Haut, Genitalien, geschminkte Gesichter, Schmuck, Socks...die Männer des Offerus Ablinger präsentieren uns augenscheinlich mit einer Bandbreite schwuler Klischées, die durch die beigegebenen Objekte sexuell aufgeladen wirken und heteronormative Vorstellungen von Männlichkeit in Frage stellen. Doch sind diese Bilder in ihrem Konzept von Rollenverteilung wirklich so neuartig? Und was verraten sie uns über den/die Typ/en Mann/Männer, die sich so ostentativ dem Auge des Betrachters darbieten?

 

Visuelle Darstellungen von Männern mit erotischer Konnotation, sinnlichen Gefallen und dem Spiel klassischer Geschlechterrollen sind kein Produkt unserer modernen Zeit. Ein Porträtmodus katapultiert uns in die Glanzzeit der Lagunenstadt Venedig, zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in dem junge Männer der aristokratischen Oberschicht luxuriös in exquisiten Stoffen, Pelzen und Schmuck gekleidet und mit einem melancholisch-kontemplativen Blick ins Unbekannte auftreten. Vom bisherigen Männerbildnis als visuelles Dokument patriarchal-herrschaftlicher Ansprüche unterscheiden sie sich durch ihre Verletzlichkeit, subtile Sinnlichkeit, Verschlossenheit, aber auch Zurschaustellung materiellen Besitzes in Form kostbarer Kleidung und sind in manchen dieser Punkte den subversiven Porträts Ablingers nicht so unähnlich. Man denke bei letzterem Aspekt an die Bedeutung materieller Objekte als identitätsstiftende Attribute. So ist die Queerness von Ablingers Modellen teilweise an Gegenständen wie Handfesseln und Sportsocken zu erkennen und hebt diese somit von heterosexuellen Männern ab. Von Marianne Koos (Universität Fribourg) als lyrisches Männerporträt bezeichnet, wecken die venezianischen Bildnisse das Verlangen des Betrachters, wie z.B. Palma il Vecchios Porträt eines Dichters von 1516 (National Gallery, London). In ausladendem Pelzmantel und Satinärmeln streckt uns der Jüngling seinen mit mehreren feinen Goldkettchen geschmückten Hals entgegen, ähnlich wie Ablingers Porträt mit der Silberkette. Im Gegensatz zu diesem entzieht sich der Venezianer jedoch unserem direkten Blick, wie auch andere Beispiele dieser Gattung (Tizian, Porträt eines Mannes mit roter Kappe, ca. 1511, Frick Collection, NY oder Giorgione, Porträt eines jungen Mannes, ca. 1508-10, Budapest, Szépmüvészeti Múzeum), die es bevorzugen in die Ferne oder ihr eigenes Inneres zu sehen. Ablingers Männer hingegen decken mit konfrontativen Blicken wie dem Mann mit dem Federschmuck, einem hinter einer Metallmaske versteckten Gesicht oder einem Blick ins Leere, Unbekannte wie das in roten Adern umschlossene Porträt die ganze Bandbreite von Betrachterinvolvierung ab. Stellen Ablingers Männer selbstbewusst, aber durch die direkten bzw. gedankenverlorenen Blicke nicht sexualisiert (lediglich das Modell mit dem Fächer scheint keck mit der Augenbraue hochgezogen mit uns zu spielen) ihre Nacktheit zur Schau, so lässt Palma durch den subtilen Griff des Herunterrutschen des Pelzes über die rechte Schulter einen Hauch von Erotik entstehen. Dass Nacktheit für den Mann außerhalb eines mythologisch-religiösen Kontextes dennoch vor 500 Jahren repräsentativ war, bezeugt Bernardino Luinis Bildnis eines Mannes mit Pfeilen im Körper (ca. 1525, St. Petersburg, Eremitage), der sowohl auf sich selbst als auch eine Tafel verweist, die von den Qualen der Liebe spricht. Vergleichbar Ablingers Porträt mit den Handfesseln stellt Luinis Liebesgefangener seinen nackten Körper natürlich und ohne Scham zur Schau (wenn auch freilich der Genitalbereich durch ein Tuch bedeckt ist), und vergleichbar den anderen Männerbildnissen Ablingers kommt durch Luinis Figur und neutralen Blick kein Moment von Erotik auf, die Liebesthematik bleibt auf die Tafel und ihre Inschrift reduziert und wäre ohne diese schwer denkbar. Es sind also wie bei Ablinger Gegenstände, die Fragen nach Sexualität bzw. Erotik aufkommen lassen, während die Modelle selbst eine gewisse Form an in sich gekehrte Nobilitierung erfahren. Für die Aktualität der Kontroverse dieser Männerbildnisse spricht, dass die Eremitage als Besitzer das Gemälde von Luini nicht als Liebesmetapher auszeichnet, sondern auf ihrer Website schlicht als Heiligen Sebastian betitelt, und damit den tatsächlichen Inhalt, der durch die Tafel offensichtlich gegeben ist, blind übergeht, um jede Form an (Homo?) Erotik in Putinrussland bloß nicht entstehen zu lassen. Es ist schwer auszumachen, inwiefern diese Männerbildnisse wirklich homoerotischen Gehalt haben und es sei Vorsicht geboten, unseren zeitgenössischen Wertekanon und Vorstellungen von Sexualität auf eine vergangene Epoche eins zu eins zu übertragen. Dennoch gibt es Schriftstücke aus dieser Zeit, die eine klare Kritik am lyrischen Männerporträt bzw. Lebensweise der Porträtierten äußern und von moralischen Zerfall sprechen. In den Augen dieser Autoren sind die an weltlichen Gütern und Mode orientierten jungen Aristokraten nichts mehr als Frauen, für diese Zeit Schimpf und Schande für das männliche Geschlecht. Und damit sind wir wieder an der Ausgangsbasis angelangt: dem jahrtausendealten Kampf um Geschlechteridentität, Patriarchat und Heteronormativität, der in dem Zyklus von Offerus Ablinger eine weitere kritische Hinterfragung findet.

 

von Kero Fichter

 

 

 

Obszönitätsvisionen einer Zukunft

Von futuristischen Körperformen und queeren Erotizismen

 

Wer eintaucht in den technisch-queeren Gegenweltsentwurf von Offerus Ablinger, dem werden nicht nur erotische Schauwerte geboten, sondern es zeigen sich überdies noch technoid-verstrickte Menschmaschinen, fast schon Posterboys einer noch nicht erreichten Utopie. Als Veranstalterin des Porn Film Festivals Vienna beschäftige ich mich mit der ganzen Bandbreite erotischer Darstellungen und den Definitionsgrenzen der Begriffe Pornografie und Erotik. Was für mich an Ablingers mehrteiligen Zyklus besonders interessant ist, ist seine Auseinandersetzung mit einer neuen Form des Körpers.

 

Die Schnittstelle zwischen Erotik und Kunst war schon immer ein sehr fruchtbares Terrain für künstlerische Werke. Beispielhaft dafür sind die Körperperformances von Annie Sprinkle, die in den 1970er-Jahren Pornodarstellerin war, Aktionskünstlerin wurde und die "Post-Porn"-Kultur einleitete. Aktionistischer Gegenentwurf als politisch treibende Kraft. Den realen Körper zeigend, vor Publikum mit breit gespreizten Beinen und Spekulum sitzend, die bürgerliche Welt konfrontierend und entblössend -- das war nicht nur für den Feminismus extrem wichtig. Aber im Jahre 2019 stellt sich die Frage, ob die frontalen Körperpräsentationen und mainstreamigen Erotikwerte des Internets, diese also nahezu klassische Obszönität der Pornografie, nicht eines Updates bedarf: eine Obszönität der Zukunft. Vorerst muss festgehalten werden, dass sich laut Definition, jede Handlung oder sprachliche Äußerung als obszön auffassen lässt, die massiv gegen jeweilig geltende Normen verstößt. Ein perfektes Framing für Ablingers Bilderzyklus. Denn dieser triggert viele Fragen: Wer sind diese Männer und sind sie überhaupt “männlich”? Aus welchem Jahrtausend sind sie und wo und wie leben sie? Wovon leben sie? Essen sie? Trinken sie? Ficken sie? Oder ist Nahrung und Sex in ihrer transhumanistischen Welt schon Vergangenheit? Das macht die Betrachtung der Werke sehr spannend. Bild für Bild, Körper für Körper, Erweiterung für Erweiterung setzen sich vor unseren Augen neue Weltensplitter zusammen, einzig erahnbar über die Darstellung der Körper dieser Menschen. Die experimentelle Bildsprache sowie die subkulturelle Aneignung erotischer schwuler Codes eröffnen spannende Deutungsräume. Wenn wir an Werke wie Hans Bellmers Puppen und die literarischen Ergüße des Marquis de Sade denken, dann haben wohl beide den Tabubruch ihrer Zeit gemein. Die Bewohner von Ablingers Zyklus, und damit Ablingers Welt, haben keinen Zeitwert, keine Zeitgrenzen. Aber in Zeiten des Chemsex, wo sich Drogenkonsum und Ficken als ebene übereinanderlegt, ist alles denkbar. Die abgebildeten Figuren zeigen sich in halbnackter Weise, manchmal ganz entkleidet, manchmal massiv verhüllt. Oft bleibt es im Unklaren, ob wir hier als Betrachter*innen überhaupt Kleidung zu sehen bekommen. Ist es Haut? Oder gar künstliche Haut? Wäre diese noch reizbar und erotisierbar? Wie funktionieren ihre Körper generell? Sind es überhaupt Körper oder vielmehr eher Projektionen, Hologrammen gleich?

 

Männliche (und das mit Fragezeichen) Cyborgs, vielleicht sogar Sexbots mit Körpererweiterungen und Verhüllungen, bilden bei Ablinger eine Zukunft ab, derer wir in der Gegenwart noch nicht mächtig zu sein scheinen. Körper öffnen sich, bluten, Haut zerrt sich und transferiert sich, körperlich-brutale, aber auch sinnliche Blicke. Ob es eine Utopie oder eine Dystopie ist, in der diese Weltenbewohner leben, das wissen wir nicht. Dieser Erkenntnis bleibt der Blick wohl verwehrt. Auch wie viel Prozent Mensch sich denn uns noch präsentiert, wo fängt Maschine an und hört Mensch auf?

 

Gegenwärtige Blicke treffen auf queere ästhetische Empfindsamkeiten. Sie treffen oder entziehen sich und transportieren trotzdem vielfache erotische Spannung. Offerus Ablingers Werke durchziehen den Sehnsuchtsraum des Körpers, unterstrichen durch futurologische Ansätze. Männlich*keiten werden hier vielfältig wiedergegeben. Männliche* Körperwelten treffen auf feminine* Gesten, präsentieren biomechanoide Erweiterungen, versprechen die Veränderung der Welt, vielleicht sogar das Abstreifen des Körperlichen an sich.

 

Sind Ablingers Modelle auf dem Weg in eine bessere Welt? Niemand weiß es. Oder um es mit Shakespeares Worten zu sagen: “Wir wissen wohl, was wir sind, aber nicht, was wir werden können.”

 

von Jasmin Hagendorfer

 

 

 

TRANS/MASC

 

Prolog

 

Die Ausgangsbasis dieser Gemäldeserie ist der Versuch, mithilfe des Science-Fiction Genres ein transhumanistisches Männlichkeitsbild zu entwerfen. Dabei handelt es sich um Portraits von mir nahestehenden Menschen der schwul/queeren Subkultur. Wir werden häufig zu unserer eigenen imaginierten Utopie. Fiktive Welten, in der Kunst erschaffen, gingen des Öfteren der Technik und der Wissenschaft voraus, bevor diese sie in die Praxis umsetzen konnten.

 

Wir brauchen neue Geschichten

 

Wir brauchen neue Geschichten, stellte Donna Haraway in ihrem Essay "A Cyborg Manifesto " von 1985 fest. Die Männlichkeitsbilder in meinen Darstellungen sollen Zeichen im Wandel einer neuen Zeit sein. Prägende Impulse kamen oft aus einer Gegenkultur, in deren Spannungsfeld sie sich zuerst etablierten und sich danach zu einem prägenden Teil des Mainstreams entfalteten. So wurden Bezeichnungen und Praktiken für Fetisch, Körpererweiterungen, Dildos, Trans-Signs, Hybridisierungen des physischen Ichs, Tatoos, Drag und andere Manierismen erst in der queer/schwulen Subkultur entwickelt, bevor sie Eingang in die Alltagskultur fanden.

 

Es sind oft die heteronormativen Konstrukte und Raster, die in jener Subkultur nicht zu funktionieren scheinen und dekonstruiert oder verstärkt werden: Parameter, die bestimmen, ob ein Repräsentanzhalter seinen Platz in einem System sowie unserer Gesellschaft überhaupt behaupten kann bzw. dieser entspricht. Als Beispiel: ein extrem ausgebildetes und übertriebenes Männlichkeitsgehabe in der Gay Szene, welches bis hin zur extremen Körperoptimierungen und Körperkult reicht. Schubladendenken und binäre Codes wirken auch hier als schnell lesbar. In diesem Setting ist das Bedürfnis nach Selbstbestimmung über den eigenen Körper sowie das Streben nach Zugehörigkeit und einen Platz in unserem System zu haben, sehr präsent.

 

Es ist zwischen den Bedürfnissen des biologischen Wesens und von den von der Gesellschaft eingeforderten Normen zu differenzieren. Ganz im Sinne von Foucaults Gedanken zu Biomacht, Disziplin und Überwachungsstaat. Ausgehend von der Frage, ob man das Männlichkeitsbild einer ganzen Epoche prägen kann, indem man wie in einer Science Fiction Geschichte Körper modifiziert, erweitert, optimiert, einfriert, Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine zeugt, erschaffe ich Cyborg-artige Wesen, beinahe wie es in Mary Shelleys Roman "Frankenstein" geschieht und halte jene in meinen Gemälden fest.

 

Eine Zeitkapsel

 

In meiner Arbeit fungiert das Gemälde selbst als Zeitkapsel, in der von mir neu interpretierte Männlichkeitsbilder, wie etwa in der Kryonik, scheinbar eingefroren werden, um sie zu einem späteren Zeitpunkt aufzutauen, zu sezieren, wieder zum Leben zu erwecken und neuem diskursiven Leben zu verhelfen. Der Cyborg als missing link zwischen Mensch und Maschine. Prothesen, Erweiterungen und Optimierungen lassen den Entwurf einer durch eine populär-darwinistische Lesart des Männlichkeitsbildes von Stärke und Makellosigkeit in Frage stellen. Sie stellen eine Übersteigerung der Evolution dar, bergen aber auch das Paradoxon des Endes der biologischen Evolution. Ich verändere gesellschaftliche Merkmale, welche im Kontext unseres patriarchalen Systems dem jeweiligen Gender zugeordnet sind (durch Sozialisierung bzw. Politisierung) neu, und schaffe dadurch eine neue Codierung. Es wird auf Diversität durch die Erweiterungen eingegangen. Modifizierungen oder Optimierung generell finden auf intersektionellen Ebenen statt. Dieses Spielfeld eröffnet neue Deutungslandschaften. Das performative Konstrukt Männlichkeit im klassischen Sinne kann diesen Vorstellungen hier nur mehr schwer standhalten und wird somit illegitim.

 

Das Transportmittel der Normen

 

In der Kunst wurden seit jeher Männlichkeitsbilder transportiert. In meinen Gemälden schaffe ich einen neuen Ansatz, um festgefahrene Konstrukte aufzulockern, um Gender-Codes untersuchen zu können, sie neu gestalten und formulieren zu können. Die polymorphenGestalten in meinen Arbeiten helfen hier als Blaupausen einer möglichen Zukunft. Die technoiden Erweiterungen selbst sind von den jeweiligen Personen inspiriert, welche auf den Gemälden portraitiert sind und spiegeln auf abstrakt-performative Art und Weise die Themen, Problematiken, Sehnsüchte, Ideologien sowie Identitätspolitiken der Subkultur wieder. Um Erweiterungen und Veränderungen durch transhumanistische Ansätze und Techniken zulassen zu können, braucht man die Bereitschaft Möglichkeiten zuerst im Kopf zuzulassen. Genau so braucht man den Willen für die Möglichkeit neuer Männlichkeitsbilder.

 

Oft wird der ethische Gedanke im Transhumanismus in Frage gestellt und strapaziert -- hier muss eine neue, kritische Denkweise etabliert werden. Wir kämpfen mit dem Problem, dass Religion, tradierte Moralvorstellungen und Glaubensdogmen oftmals alles ablehnen, was sich aktiv mit der Veränderung des menschlichen Körpers (von Gentechnik bis Kybernetik) beschäftigt. Diese Tendenzen werden oftmals sofort als das "Böse" bezeichnet. Wie schon in vielen Darstellungen, vor allem christlichen, sind Mischwesen als diabolisch dargestellt (z.B. Hybrid Wesen, Satans Darstellungen; Pferdefuß, Hörner). Das Bild " Sturz der gefallenen Engel " (1562) von Pieter Bruegel dem Älteren zeigt den Kampf zwischen Engeln und grotesken Hybridwesen, wie sie einem Science-Fiction-Film entstammen könnten. Ebenso werden in Hieronymus Bosch "Der Garten der Lüste" (1500) Mischwesen als die Ausgeburt des Negativen gezeigt.

 

Utopie und Transhumanismus

 

Im Transhumanismus gibt es viele utopische Ansätze. Eine utopische Welt in der jedes menschliche Wesen selbstbestimmt über seine "Erweiterungen" und seinen Körper bestimmen kann, ist auf jeden Fall zu ersehen, die Frage stellt sich allerdings auch wer die treibende Kraft hinter der derzeitigen Entwicklung ist und wer davon profitiert. Sehr naheliegend ist eher eine kapitalistische und industrielle Steuerung durch Wettbewerbs- bzw. Konkurrenzdenken, denn wenn neue Technologien entwickelt werden, dann ist die zentrale Frage wer dahinter steckt und was jene zum Ziel haben. Die utopische Vorstellung kann schnell zur Dystopie werden, wie auch schon in so manchen Science Fiction Filme wie z.B. Ghost in the Shell, Blade Runner, The Matrix dargestellt wird. Was bleibt bzw. was ist denn eigentlich der Kern des Menschlichen, wenn alles ersetzt werden kann? Kann man einen "Geist" in einen mechanischen Körper hochladen? Ist der "Geist" vom Gehirn trennbar? Kann das Gehirn technisch reproduziert werden? Kann man einen mechanischen Körper steuern und vor allem von wem wird er gesteuert? Foucaults Begriff der Biomacht würde sich hier als Denkschablone anbieten. Es gibt eine starke gesellschaftliche Sehnsucht nach Science-Fiction-Utopien, was der Erfolg für Klassiker wie Avatar oder Star Trek z.B. aufzeigen. Der Mensch lebt im Einklang mit seinen Technologien. Ob ein utopisches oder dystopisches Setting vorliegt, geht allerdings nicht klar aus meinen Gemälden hervor - es soll offen gelassen werden.

 

Wer bevölkert meine Welt?

 

Die Personen in meinen Gemälden stammen allesamt aus meinem engsten intimen Umfeld. Sie sind ein Teil von jenen Menschen, die für mich diese queere/schwule Subkultur ausmachen. Meine langjährige Beobachtung fließt in meine Serie ein. Ich kenne diese spezielle Subkultur gut und sehe sie als Quelle interessanter Reflexionen. Sie wird oft abgelehnt und sogar gehasst, aber sie ist für mich ein safe space und erste Zufluchtsstätte im Kampf um sexuelle Befreiungen und sexuelle Orientierung. Die Menschen haben hier oft außer ihrer sexuellen Orientierung nicht viel gemeinsam.

 

Es sind Menschen, die hier fernab von gesellschaftlicher Schicht, sozialem Umfeld, Alter, Religion, Hautfarbe, Nationalität usw. miteinander in Kontakt treten. Es ist eine internationale Szene, welche über Grenzen hinaus wirkt. Die Einzelschicksale der Menschen in dieser Subkultur machen diesen Platz oft zu einem Schmelztiegel. Mit Exzessen, Drogen, Absturz, Suizid, körperlicher Gewalt, psychischer Gewalt, Prostitution, Kriminalität wird man hier oft nach wie vor konfrontiert und dies ist auch das, womit du dich als schwuler junger Mann früh, vor allem im urbanen Umfeld, auseinandersetzen musst. Wie auch in dystopischen Science Fiction Romanen wie z.B. die Neuromancer-Trilogie von William Gibson aus den 1980erJahren. Gibson prägte damals z.B. das Cyberpunk-Motto "High Tech, Low Life", etwas das sich wunderbar auf meine Arbeiten übertragen läßt. Aktuell beobachtet man in der Szene Menschen mit Migrationshintergrund bzw. (Queer) Refugees stark vertreten, welche diese Freiräume für sich beanspruchen, da sie jene scheinbar brauchen. Hakim Beys Begriff der TAZ (der Temporär Autonomen Zone) wäre hier auch ein interessantes Analysemuster für die intersektionalen Prozesse, Allianzen und Lebensweisen in der Szene. Es sind jene intersektionale Menschen dieser Subkultur, die ausschlaggebend für meine Arbeit sind. Hier wird sich in Szene gesetzt oft übertrieben geacted, inszeniert, performt, wie bei Drag und Camp.

 

Die Inszenierung von Subkultur

 

Wenn man den Begriff Drag durchleuchtet, kann man ihn schwer abkoppeln vom Politischen und schwer abkoppeln von den Anfängen der Punk-Subkultur sowie der queeren Subkultur, welche stark von übertriebenen Darstellungen wie Satire bis hin zu Trans und Drag geprägt war. Provokation durch nicht genderkonforme Auftritte bzw. Performances waren fester Bestandteil jener. So wie sich diese Subkultur inszeniert, sehe ich auch meine Malerei als inszeniert. Ich bediene mich zum Teil überzeichneter Ausdrucksformen wie es bei Camp oft der Fall ist. Inszenierungen wie in der Fotografie von Robert Maphlethorpe haben sicher auf mich gewirkt. Allerdings reicht mir eine physische Körpergrenze nicht um meine Vorstellung zu zeigen. Ich will eine Körpergrenzenüberwindung wie sie schon Francis Bacon angestrebt hatte. So wirken Teile der künstlichen Erweiterungen beinahe wie eine Performance von Stelarc. Der Cyborg als Hilfsmittel sowie Transhumanismus als Hilfsmittel, um Männlichkeitsbilder zu hinterfragen und zu verändern. Der Raum in meinen Gemälden ist als ein Raum in ständiger Veränderung und Kommunikation mit den Protagonisten zu verstehen. Abgekoppelt von Zeit, soll er nicht die Gegenwart widerspiegeln sondern viel mehr ein zeitloses Umfeld suggerieren, manchmal auflösend bis hin zu abstrakter Darstellung und Verschmelzung mit Körperteilen. Eine Art Gerinnen der Zeit, der Körper und der inhaltlichen Ebenen. Die Körper selbst können also Projektionsfläche sein und sich ebenso raumgreifend erweitern wie sich der Raum selbst auch erweitern kann.

 

von Offerus Ablinger